In Wyhl wird mit dem Haus Rheinaue seit Jahren eine Altenpflegeeinrichtung betrieben, die das Modell "stambulant" in einem Modellversuch umsetzt. Dabei ist es den Bewohnerinnen und Bewohnern möglich, betreut zu wohnen und benötigte Pflege dort ambulant zu erhalten - eine Kombination aus stationär und ambulant. Das Modellprojekt nach §45f SGB-XI wurde von der BeneVit-Gruppe, die das Haus Rheinaue betreibt, gemeinsam mit den Pflegekassen unter der Federführung der AOK Baden-Württemberg und dem Landesministerium für Soziales, Gesundheit und Migration entwickelt und in Wyhl umgesetzt. Beteiligt waren außerdem in einer begleitenden Projektegruppe die kommunalen Spitzenverbände, die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft (BWKG), der Bundesverband Privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der Landkreis und die Kommune. Das Projekt wurde umfangreich evaluiert: Das IGES-Institut legte ein 250 Seiten starkes Gutachten vor, das Vorteile von stambulant belegte: Das Modell spart Geld und Personal, ohne Abstriche bei der Qualität – und hat dabei deutliche Vorteile für die Bewohner.
Um das Modell auch auf andere Einrichtungen ausweiten und in die Regelversorgung übernehmen zu können, braucht es eine gesetzliche Regelung. Vertreter*innen der Berliner Ampelkoalition hatten in zahlreichen Gesprächen angekündigt, eine solche Regelung in das geplante Pflegekompetenzgesetz (PKG) aufzunehmen. Anfang September legte das Bundesministerium für Gesundheit nun einen Entwurf vor.
Dazu Alexander Schoch MdL:
"Der Entwurf ist ein Schlag ins Gesicht für BeneVit, für die Bürgermeister, die sich für ambulante Einrichtungen in ihren Gemeinden einsetzen und natürlich für die Bewohnerinnen und Bewohner im Haus Rheinaue in Wyhl. Hier wird ein weiteres Bürokratiemonster geschaffen! Für mich war und ist das „stambulant“-Konzept ein Zukunftsmodell. In Whyl wird es bereits seit 2016 erfolgreich praktiziert und musste bisher jedes Jahr aufs Neue um Anerkennung und Weiterfinanzierung kämpfen. Mit dem Pflegekompetenzgesetz sollte diese Pilotphase zu Ende sein.
Nach dem Gutachten, das die guten Ergebnisse des Modellversuchs verdeutlicht hatte, empfahl der GKV-Spitzenverband dem Bundesgesundheitsministerium die Übernahme des Konzeptes „Stambulant“ als Regelleistung ins SGB XI.
Daraus ist jedoch ein Bürokratiemonster für die Zulassung von stambulant geworden. Das lässt sich nicht schön reden! Ich verstehe, dass Kaspar Pfister von einer herben Enttäuschung spricht.
Es ist für niemanden nachvollziehbar, dass nach acht Jahren intensiver Pilotphase ein Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt, der nur Frust und große Enttäuschung für alle Beteiligten verursacht. Anstatt nun neue Wege zu gehen, sollen laut dem vorliegenden Gesetzesentwurf die Spitzenverbände der Kassen, Träger, Kommunen, medizinischer Dienst und etliche mehr die Details der "gemeinschaftlichen Wohnformen" nochmal neu definieren – warum dann die Modellphase und das IGES- Gutachten? Das erinnert an einen Schildbürgerstreich.
Ich habe daher Gesundheits- und Sozialminister Manne Lucha darum gebeten, gegenüber dem Bundesministerium deutlich zu machen, dass statt weiteren Hürden ein Gesetz gemacht werden sollte, das "stambulant" endlich unbürokratisch ermöglicht."
Aus dem Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Migration hat Alexander Schoch folgende Einschätzung zum PKG und den darin enthaltenen Regelungen zu "stambulant" erhalten:
„Zwar beabsichtigt der Bund mit den neuen Regelungen in §45j und §92c SGB XI-E, eine gesetzliche Regelung für „stambulant“ und andere Ansätze für gemeinschaftliche Wohnformen einzuführen. Allerdings findet sich die binäre Logik von „stambulant“, stationäre Versorgung mit der Garantie des Trägers für entsprechende Versorgungssicherheit mit ambulanten Elementen, die der freien Wählbarkeit unterliegen, zu kombinieren, im Entwurf nicht wieder. Die Leistungen in gemeinschaftlichen Wohnformen sind rein ambulant ausgestaltet, das Modell von BeneVit in Wyhl wird damit nicht abgebildet.
Zur Wohnform selbst spricht sich der Entwurf nicht aus, die Leistungen können damit etwa im Betreuten Wohnen o.ä. erbracht werden. Dies hat zur Folge, dass solche Angebote künftig kaum unter das Landesordnungsrecht zu fassen sind, dem sich das Modell in Wyhl angesichts der beschriebenen binären Logik von Anfang an verpflichtet gesehen hat. Eine Qualitätskontrolle findet lediglich in Bezug auf die zu erbringenden ambulanten Dienste statt. Diese soll durch GKV-Empfehlungen konkretisiert werden. Dies kritisiert etwa auch Kaspar Pfister, Geschäftsführer der BeneVit und Initiator von „stambulant“. Er bemängelt, dass nun Qualitätsanforderungen über GKV-Empfehlungen formuliert werden sollen, die die Besonderheiten von „stambulant“ nicht berücksichtigen werden, obschon die Evaluation durch IGES bereits ergeben hat, dass sich das Modell in Wyhl bewährt hat und zur Umsetzung empfohlen wurde. Die Vorteile des bereits erprobten und positiv evaluierten, stambulanten Pflegesettings - möglichst große Flexibilisierung der Pflegleistungen und gleichzeitige Einbindung von Angehörigen mit der Sicherheit einer stationären Einrichtung zu verbinden - fallen damit weg. Die nunmehr vorgesehenen Regelungen sind auch aus Sicht des Landesozialministeriums nicht nachvollziehbar und werden zu keiner qualitativen Verbesserung bei den Versorgungsangeboten führen.
Zudem sehen wir die Verortung der Wohnform im ambulanten Bereich mit Blick auf die Sozialhilfe als problematisch an. Die Vorschriften über die betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen gelangen nicht zur Anwendung, sondern es werden die Kosten der Unterkunft dem (Miet-)Markt überlassen. Damit werden sich dieselben Umsetzungsprobleme im Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialhilfe stellen, wie sie schon von den ambulant betreuten Wohngemeinschaften bekannt sind. Es droht damit eine Benachteiligung von Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger gegenüber Selbstzahlenden.“