In meinem Wahlkreis in Wyhl am Kaiserstuhl, im Landkreis Emmendingen, plante einst die baden-württembergische Landesregierung gemeinsam mit dem Energieversorger Badenwerk den Bau eines Atomkraftwerks. Doch das Vorhaben stieß rasch auf Widerstand: Bauern und Winzer aus der Region fürchteten eine radioaktive Verstrahlung von Wein und Feldfrüchten, Fischer bangten um ihren Fang.
Die Bürgerinnen und Bürger aus der Region haben das Unvorstellbare geschafft: Durch eine Platzbesetzung erzwangen sie einen Baustopp des AKW Wyhl und sorgten dafür, dass die Kraftwerkspläne letztlich für immer in der Schublade verschwanden. Auch ich engagierte mich damals im Protest gegen das AKW Wyhl.
50 Jahre ist es her, dass der Name des Dorfes Wyhl deutsche Widerstandsgeschichte schrieb – was anfangs keineswegs vorhersehbar war.
Seit Juli 1973 war bekannt, dass Wyhl als Standort für ein AKW im Gespräch war. Seit August 1974 existierten die „Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen“. Der Ursprung des Widerstands lag im Wyhler Nachbardorf Weisweil. Dort wurde die örtliche Bürgerinitiative gegründet, aus der später das Komitee der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen hervorging. Hier wurde auch der Plan ausgearbeitet, wie der geräumte Bauplatz im Rheinwald erneut besetzt werden könnte.
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Unter dem Motto „Besser heute aktiv als morgen radioaktiv“ besetzte eine Gruppe den Bauplatz am Rhein. Einige Hundert Menschen genügten, um die Bauarbeiten zu stoppen. Die Protestierenden überrumpelten Polizei und Baufirma. Die Baufirma Kernkraftwerk-Süd GmbH, eine Tochter des Badenwerks, das später in der EnBW aufging, wurde überrascht.
Der Slogan des Stromkonzerns – „Mehr Energie. Damit der Fleiß im Land sich lohnt“ – überzeugte nicht alle. „Ohne das Kernkraftwerk würden in wenigen Jahren die Lichter ausgehen“, erklärte der damalige Ministerpräsident Hans Filbinger den beunruhigten Bürgerinnen und Bürgern. Sie sollten sich nicht von Kommunisten beeinflussen und aufhetzen lassen. Filbinger trieb das Projekt des Badenwerks unerbittlich durch die Instanzen – auch gegen den Widerstand seiner Stammwählerschaft.
Als die Atomkraftgegnerinnen und -gegner das Gelände auch am Mittwoch noch besetzt hielten, entschied Ministerpräsident Filbinger auf gewaltsames Durchgreifen. Am frühen Donnerstag ließ er 600 Bereitschaftspolizisten mit Hundestaffeln und Wasserwerfern anrücken. Diese Repression stärkte jedoch den Protest und heizte die Stimmung weiter an. Am darauffolgenden Sonntag versammelten sich 28.000 Menschen aus der gesamten Region auf dem Bauplatz. Die Polizei musste sich zurückziehen, und das Badenwerk stellte – überrascht von der Masse und ihrer friedlichen Entschlossenheit – die Bauarbeiten ein.
„Nai hämmer gsait“ – mit diesem Slogan setzten die Protestierenden ihren Widerstand fort, nachdem die Wiederaufnahme des AKW-Baus angekündigt worden war.
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Noch entscheidender als das klare Ziel war wohl die Offenheit der Bewegung gegenüber verschiedenen Weltanschauungen. In Wyhl kämpften Studierende, Landwirte und Winzer gemeinsam. Politische Zugehörigkeiten spielten keine Rolle – über Parteigrenzen hinweg herrschte Einigkeit im Widerstand gegen das AKW. Viele der damaligen Aktivistinnen und Aktivisten betonen rückblickend: „Das war unser Erfolgsrezept.“
Nach weiteren Jahren des unnachgiebigen Protests, komplizierten Verhandlungen und dem unrühmlichen Rücktritt von Ministerpräsident Hans Filbinger beendete sein Nachfolger Lothar Späth das Projekt endgültig.
Dass erst ein Schulterschluss über ideologische Grenzen hinweg den Erfolg ermöglichte, haben nach Wyhl auch andere Beispiele gezeigt. Ein ähnlicher Sieg gelang kurz darauf im schweizerischen Kaiseraugst nahe Basel, wo eine Bürgerbewegung mit einer Bauplatzbesetzung das Ende der dortigen Reaktorpläne erwirkte.
Der Pragmatismus, der über ideologische Differenzen siegte, lag in der Tradition der frühen Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung. Deren Vordenker waren Herbert Gruhl, der das Buch „Ein Planet wird geplündert“ schrieb, und Holger Strohm, dessen Werk „Friedlich in die Katastrophe“ von der Presse gar als „Bibel der Anti-Atomkraft-Bewegung“ geadelt wurde. Beide ließen sich parteipolitisch nicht zuordnen.
Auch die Partei Die Grünen hat eine ihrer Wurzeln auf dem Bauplatz von Wyhl!
Hinweise zu Veranstaltungen anlässlich des 50igsten Jahrestages:
Anläßlich des 50. Jahrestags der Platzbesetzung in Wyhl am Rhein laden die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen zu einer Veranstaltungsreihe ein.
Die Bauplatzbesetzung des geplanten Atomkraftwerks im Wyhler Wald steht bis heute für den erfolgreichen Kampf gegen Atomenergie und den Beginn der Energiewende durch die Bürgerinnen und Bürger der Region. Nach neun Monaten Platzbesetzung, zahllosen Gerichtsprozessen und Verhandlungen zwischen den Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen und der Landesregierung dauerte es noch Jahre bis zur endgültigen Aufgabe des Standortes Wyhl 1983.
2023 erfolgte dann endlich der Atomausstieg in Deutschland.
Mit dem beiliegenden Programm laden die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen ein zum Erinnern und dem Gedenken an Menschen, die sich mit viel Mut für eine lebenswerte Heimat im Elsass, in Baden und der Schweiz eingesetzt haben.
PROGRAMM
Dienstag, 18.2.2025, 19 Uhr in der Evangelischen Kirche in Weisweil
Gedenkgoesdienst zum 50. Jahrestag der Platzbesetzung
Schöpfung bewahren mit Pfr. Keno Heyenga und Zeitzeugen von damals
Samstag, 22.2. und Sonntag 23.2.2025, jeweils von 11 - 17 Uhr,
Neues Evangelisches Gemeindehaus Weisweil, neben der Kirche
50 Jahre Platzbesetzung - Erinnerung an eine bewegte Zeit - Fotoausstellung mit Fotos von Manfred Richter, dem ehemaligen Fotografen der Badischen Zeitung, Meinrad Schwörer u. Bernd Nössler
mit Unterstützung des Nachlasses von Manfred Richter aus dem Fotomuseum Hirsmüller, Emmendingen und Dokumenten aus dem Archiv der Badisch-Elsässischen Bürgeriniaven, Weisweil
Samstag, 22.2., 11 Uhr
Ausstellungseröffnung - mit Prof. Rainer Grießhammer
Vom KKW NEIN zur Energiewende. Eine Zeitreise in Bildern.
Prof. Grießhammer war mehr als 30 Jahre Geschäftsführer und Wissenschaftler des Öko-Instituts, ist Bestsellerautor und Vorstandsvorsitzender der Sung Zukunserbe
Weiterer Termin der Fotoausstellung in Oberrotweil, Atrium der Wilhelm-Hildenbrand-Schule in Vogtsburg-Oberrotweil Freitag, 14.3., 19 Uhr Eröffnungsveranstaltung sowie Samstag, 15.3. und Sonntag, 16.3., jeweils von 11 – 17 Uhr vom Heimat- und Geschichtsverein Oberrotweil e.V.
Freitag, 11.4.2025, 19 Uhr, Sasbach im Bürgersaal des Rathauses
S ´Wespenäscht. Film der Medienwerkstatt Freiburg 1982
Der Film erinnert an den Widerstand gegen das KKW Wyhl und das
Bleichemiewerk Marckolsheim von 1973 – 1982
Kontakt: Bürgerinitiative Weisweil e.V.