Pressemitteilung Nr. 78/2021
Emmendingen, den 05.07.2021
Auf Einladung des Personalrats des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Emmendingen informierte sich der Abgeordnete des Landtags für den Wahlkreis Emmendingen Alexander Schoch (Bündnis 90/Grüne) gemeinsam mit Barbara Schuler, Vorsitzende der grünen Kreistagsfraktion über die aktuelle Situation und die Rahmen- und Arbeitsbedingungen im ZfP.
Dieter Böcherer, Mitglied des Personalrats und Fachkrankenpfleger für Psychiatrie nahm die Besucher gemeinsam mit dem Pflegedirektor Jeton Himaj in Empfang.
Das ZfP in Emmendingen blickt auf eine über 125-jährige Geschichte zurück. Der Weg zum heutigen modernen Krankenhaus begann als großherzogliche Heil- und Pflegeanstalt Ende des 19. Jahrhunderts. Das Gelände verfügt über einen wunderschönen historischen Park. Die Anordnung der denkmalgeschützten Gebäude entspricht in der Mitte einem C. Die denkmalgeschützten Gebäude sind auf zwei Seiten an der früheren „Geschlechterachse“ gespiegelt in U-Form angeordnet. Die Idee dahinter erläutert Böcherer wie folgt: „Im C, den „Centralgebäuden“ waren die kränksten Menschen im maximal geschützten Rahmen, wenn sie zunehmend genesen waren, kamen sie weiter in die Peripherie.“
Erster Stopp war die Station 35, die Aufnahmestation für den Landkreis Emmendingen. Alle Patenten aus dem Landkreis kommen zuerst hier an, bevor sie gegebenenfalls in andere Stationen weiterverteilt oder auch von hier aus wieder entlassen werden. Die Arbeitssituation für das Personal ist sehr herausfordernd, da die Patienten unterschiedlichste Krankheitsbilder und oft akute Krisen aufweisen. Dies wurde im Gespräch mit Stationsarzt Dr. Markus Zahn und Stationsleiter Pascal Teßmer sehr deutlich. Auch die angespannte Personalsituation wurde angesprochen, die es weder ermöglicht sich annähernd ausreichend um die Patienten und deren Bedürfnisse zu widmen oder gar weitere, notwendige und sinnvolle Therapienagebote wie Hochbeet, Gartengruppe oder Barfußweg anzubieten. Denn der Garten ist weitgehend ungenutzt. Die Station 35 kann bis zu 30 Patient*innen aufnehmen, 10 davon im geschlossenen Bereich. Alexander Schoch sah hinsichtlich des therapeutischen Angebots Handlungsbedarf, dämpfte jedoch bezüglich der zeitnahen Umsetzung eines therapeutischen Schwimmbeckens die Erwartungen, aufgrund der hohen Kosten.
In der Suchtstation 31 wurden die Gäste von Stationsleiterin Elke Oberle und Oberärztin Dr. Cordula Seeber begrüßt. Hier können bis zu 29 Patienten aufgenommen werden, die an einer substanzgebundenen Sucht erkrankt sind. Möglich sind entweder kurzzeitige Kriseninterventionen oder längere, therapeutische Aufenthalte. Da es sich in der Regel um chronische Krankheitsbilder handelt, ist die Rückfallquote sehr hoch. Auch hier wird als größtes Problem genannt, gutes Personal zu halten und neues, gut ausgebildetes Personal zu finden. Es besteht keine Möglichkeit einen Personalpuffer vorzuhalten um Arbeiten wie die zeitintensive Dokumentation zu übernehmen. Diese Arbeit, die die Krankenkassen als Tätigkeitsnachweis für die Vergütung fordern, hat in den letzten Jahren extrem zugenommen und geht zu Lasten der Patienten, die leider oft zu kurz kommen. Der Druck seitens der Krankenkassen steigt. Es fehle oft an der Verhältnismäßigkeit, so die Oberärztin. Es lässt sich feststellen: Suchtpatienten haben eine schlechte Lobby. Es gibt immer weniger niedergelassene Substitutionsärzte. Hausärzte können ohne Auflagen bis zu sechs Patienten substituieren, machen von dieser Möglichkeit aber selten Gebrauch.
Der medizinische Direktor und Chefarzt Dr. Ralf Zehnle und der Stationsleiter Jürgen Lindl führten die Gäste danach durch die Aufnahmestation 28 der Forensischen Klinik. Die Forensische Psychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie, das sich mit der Begutachtung und Behandlung von Menschen befasst, die infolge einer psychischen Erkrankung Straftaten begangen haben und bei denen zudem die Gefahr weiterer krankheitsbedingter Straftaten besteht. Primäre Aufgabe der Forensischen Klinik ist die Gefährlichkeitsreduktion über „Besserung und Sicherung“. Die große Herausforderung dabei ist, straffällig gewordenen psychisch kranken Menschen durch Behandlung und Betreuung wieder ein Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und andererseits die Bevölkerung hundertprozentig vor weiteren Straftaten zu schützen. Für den Landtagsabgeordneten ist klar, dass sich gerade hinsichtlich des Dokumentationsaufwandes etwas ändern muss, da dies zu Lasten der Arbeit am Patienten geht.
Die seit Jahren zunehmende, landesweite Überbelegung aller Forensischen Kliniken macht sich auch in Emmendingen bemerkbar. Die Rahmenbedingungen verschlechtern sich mit der zunehmenden Überbelegung mehr und mehr. Daher freut sich Dr. Zehnle sehr auf einen Erweiterungsbau. Die Finanzierung ist gesichert. Dabei soll die Zahl der Patienten nicht erhöht werden. Mit Personalengpässen umzugehen gehört auch auf der Station 28 zum Tagegeschäft. Da hier der Sicherheitsaspekt hinzukommt, braucht es oft personell verstärkte Besetzungen. Hier wünscht man sich ebenfalls einen größeren Personalpuffer, um Patienten beispielsweise einen Besuch im angegliederten Garten zu ermöglichen, wie Böcherer und ein Patient der Station 28 einmütig erklären.
Im Rollerhaus wurden schließlich noch einmal verschiedene Aspekte und Probleme mit Alexander Schoch und Barbara Schuler diskutiert. An der Gesprächsrunde nahmen Mitglieder der Geschäftsleitung und des Personalrats teil. Die Vortragenden verdeutlichten, dass die Rahmenbedingungen, die die Politik zu einem guten Funktionieren des ZfP Emmendingen erbringen sollte, noch strukturelle Defizite aufweisen.
Henning van Wasen, Mitglied des Personalrats und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet seit 18 Jahren im ZfP. Das ZfP habe ein riesiges Einzugsgebiet, von Lörrach bis in die Ortenau, so Wasen. Um dem Vollversorgungsauftrag weiterhin nachkommen zu können, fehlt in Zukunft ausreichendes und geschultes Personal. Die Krankenkassen drohen mit Sanktionen, wenn der Standard nicht erfüllt wird. Die Folge wird sein, dass Leistungen zurückgefahren werden müssen und oder die Patientenversorgung schlechter wird. Van Wasen berichtet von einer Arbeitsverdichtung auch durch zunehmenden Emailverkehr und von einer kürzeren Verweildauer von Patienten im ZfP. Er wünscht sich mehr Anerkennung durch die Politik für die besondere Arbeit der Psychiatrien und mehr Zeit für die Patienten.
Der Genesungsbegleiter Dr. phil. Klaus Gauger erläuterte, dass geeignete Instrumente zur erfolgreichen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oft fehlen. Einen Anteil an dieser Misere hat natürlich auch das Stigma, mit dem gerade die an Psychosen Erkrankten verbunden sind. Hier sollte die Politik aktiv werden und der breiten Bevölkerung die Einsicht vermitteln, dass es sich bei den Psychosen um eine Stoffwechselerkrankung des Gehirns handelt, die heute erfolgreich behandelt werden kann. Genesene psychisch Kranke sind letztendlich ganz normale Menschen. Auch auf dem Wohnungsmarkt spiegelt sich dieses Problem. Eine Wohnung zu finden, ist für die Patienten fast nicht möglich. Er forderte zudem, dass die Politik die Rahmenbedingungen für den Pflegeberuf aktiv gestalten und verbessern und den Beruf auch für jüngere Menschen attraktiv machen sollte.
Gitte Herwig, Pflegeexpertin im Maßregelvollzug ergänzte: „Wichtig für die therapeutische Arbeit ist die Beziehungsgestaltung. Die Anforderungen an das Personal sind hierfür sehr hoch. Gut ausgebildetes Personal ist daher bundesweit sehr rar.“ Herwig vergleicht den Maßregelvollzug in seiner Spezialität mit einer Intensivstation. Wichtig sind (interne) Qualifizierungen und Weiterbildungen. Dafür fehlen allerdings die Ressourcen, er Krankenstand ist generell sehr hoch und es besteht ein hoher Belegungsdruck.
Dr. Schieting, Medizinischer Direktor am psychiatrischen Krankenhaus, berichtete, dass das ZfP insgesamt gut durch Corona gekommen ist, die Patientenbelegung sei um ca. 10% zurückgegangen. Auf Dauer würde so eine Auslastung zu wirtschaftlichen Problemen führen. Das größte Problem für das ZfP stellt die Umsetzung der Bundesrichtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik dar. Wenn die Mindestpersonalvorgaben nicht erfüllt werden, führt dies bei den Kliniken zu einem Vergütungswegfall. Spätestens im Herbst 2023 soll über weitergehende Sanktionen entschieden werden. Kernelement der geforderten Richtlinie sind verbindliche personelle Mindestvorgaben. Schieting befürchtet, dass das ZfP diese Richtlinie nicht zeitnah erfüllen kann und dass daher Sanktionen drohen und Leistungen gekürzt werden müssen. Die Kassen und die Krankenhäuser müssen den Plan umsetzen, obwohl es nicht genügend Ärzte und Pfleger gibt. Hier wurde die Frage aufgeworfen, ob die zuständigen Ministerien dieses Problem ausgeblendet hätten. Der Bedarf muss an die Realität angepasst werden, z.B. durch Verlängerung der Übergangsfristen ohne Leistungskürzung. Nur so kann auch tatsächlich genügend Personal akquiriert werden. Es muss außerdem die Versorgung durch stationäre, psychiatrische Krankenhäuser sichergestellt werden.
Der stellv. Geschäftsführer, Gerhard Albiez fügte hinzu: „Es müssen bestimmte Quoten im Verhältnis von qualifizierten Pflegefachkräften und minderqualifizierten Pflegehelfern erfüllt werden. Sonst gibt es keine Kostenerstattung für die Behandlungskosten. Die Gefahr ist groß, dass dabei die Fachkräftequote unterschritten wird.“
Alexander Schoch MdL bedankte sich für die umfangreiche Information und die gute Organisation des spannenden Besuchstages durch den Personalrat und versprach, die an ihn herangetragenen Probleme im Gesundheitsministerium zur Sprache zu bringen und sich dafür einzusetzen, dass das ZfP auch in Zukunft die psychiatrische Grundversorgung für etwas über eine Millionen Menschen in der Region Süd- und Mittelbaden sicherstellen kann. Mit seinen Kliniken, Tageskliniken, seinem Fachpflegeheim, der Institutsambulanz sowie dem Maßregelvollzug und der forensischen Ambulanz deckt das ZfP das gesamte psychiatrische Versorgungspektrum ab.