Fachkräftemangel, kaum Wertschätzung und Anerkennung, anstrengende und oft emotional schwierige Arbeit, zu geringe Bezahlung - die Liste mit der Nathalie Müller, die Geschäftsführerin der Sozialstation St. Franziskus in Herbolzheim auf die Nöte der Pflegenden aufmerksam machte, ist lang.
Wie viele anderen Einrichtungen wollten auch die Mitarbeiterinnen der Sozialstation St. Franziskus und des Pflegezentrums Kenk den Tag der Pflege nutzen um laut zu werden.
Der Landtagsabgeordnete Alexander Schoch nahm die Einladung, als Vertreter der Landespolitik bei der Kundgebung zu sprechen gerne an.
Hier seine Ansprache:
(Es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte (...) Damen und Herren,
Der internationale Tag Pflegenden wird jährlich am 12. Mai begangen, er wurde 1965 vom International Council of Nurses (ICN), einem Zusammenschluss von 130 nationalen Pflegeverbänden, ins Leben gerufen. Er erinnert uns an den Geburtstag der britischen Krankenpflegerin und Pionierin der modernen Krankenpflege, Florence Nightingale 1820.
Die britische Krankenschwester gilt mit als Begründerin der modernen westlichen Krankenpflege. Ihr Wirken trug dazu bei, dass sich die Krankenpflege zu einem gesellschaftlichen geachteten und anerkannten Beruf entwickelte, ohne dass sich dies jedoch in Deutschland in Verbesserungen der Arbeitsbedingungen oder in der Bezahlung adäquat zum Ausdruck kommt.
„Gute Pflege muss gepflegt werden!“
Pflegerinnen und Pfleger sind eine tragende Säule unserer Gesundheitsversorgung. Es reicht jedoch nicht, dass in der Pandemie geklatscht wird, oder dass die Systemrelevanz dieses Berufes hervorgehoben wird. Das ist nicht mehr als eine anerkennende Geste, die zwar richtig war und ist, aus der jedoch leider bis jetzt nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen wurden.
Dafür möchte ich mich entschuldigen – dass von Seiten der Politik noch nicht mehr passiert ist. Trotzdem möchte ich mich aber auch bedanken für das, was Sie, meine Damen und Herren, in der Pflege leisten.
Die Bedeutung des Pflegeberufs in Deutschland wird daran deutlich, dass rund fünf Millionen zu pflegende Menschen in Deutschland leben. Diese Zahl der zu pflegenden Seniorinnen und Senioren hängt vor allem damit zusammen, dass Deutschland eine vergleichsweise alte Bevölkerung hat. Die Alten- und Pflegeeinrichtungen und letztlich unsere ganze Gesellschaft stehen vor einer großen Herausforderung. So hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland von 1999 bis 2019 mehr als verdoppelt. Der Bedarf an Pflegekräften in Deutschland scheint trotz der fast 2 Millionen aktiven Pflegekräfte im Jahr 2021 nicht gedeckt, und diese Kluft vergrößert sich seit 20 Jahren kontinuierlich.
Insgesamt fehlen derzeit in Deutschland, sei es in Pflegeheimen und Krankenhäusern, darunter mehr als 4.000 auf Intensivstationen, 200 000 Pflegekräfte. Diese Zahl soll nach Prognosen des Deutschen Institutes für Wirtschaft bis 2035 für alle medizinischen Berufe auf 500.000 ansteigen.
Im Jahr 2030 wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung des Landkreises Emmendingen bei 47,5 Jahren liegen (zum Vergleich 2008:42,2 Jahre). Mit diesem Durchschnitt wird der Landkreis Emmendingen der Kreis mit der viertältesten Bevölkerung und dem höchsten Anteil an über 80-Jährigen in Baden-Württemberg sein. Der Anteil der über 65-Jährigen wird auf Dauer und zunehmend höher als der der unter 20-Jährigen sein. Was auffällt, ist der wachsende Zuzug von älteren Menschen in den Landkreis. Ein Grund ist die hohe Lebensqualität.
Es besteht in vielfältiger Weise Handlungsbedarf. Nach der Teilhabeplanung des Landkreises fehlen aktuell 260 Pflegeplätze. Auch diese Zahlen werden noch steigen.Diesen Bedarf zu decken, stellt sicherlich die größte Herausforderung für die Zukunft dar.Wir wissen es und wir ändern strukturell nichts, wir versuchen die Symptome zu behandeln aber nicht die Ursachen und dies seit Jahren! Und dies, obwohl uns alle klar ist, wie wichtig die Arbeit in der Pflege für unsere Gesellschaft ist.
Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind eben auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Anerkennung dieses Berufs wichtig und machen einen Beruf zusätzlich zur Berufung noch interessanter.
Nach einer OECD Studie von 2021, die die Gehälter der Pflegeberufe in 25 europäischen Ländern untersucht hat, landet Deutschland auf Platz 16, noch hinter Großbritannien, wo gerade der Pflegestreik war. Platz 16 und dies obwohl Deutschland mit deutlichem Abstand das wirtschaftsstärkste Land Europas ist!
Daher ist es sicherlich nur richtig, dass Sie die heutige Kundgebung - 5 nach 12 – Pflege wird laut - nennen.
Die grüne Landesregierung hatte eine Enquetekommission Pflege eingerichtet, die wichtige Problempunkte herausgearbeitet hat die auch auf bundes- und Landesebene angegangen werden.
Die Gestaltung einer menschenwürdigen und guten Pflege in Zeiten des demographischen und sozialen Wandels ist eine vordringliche politische und gesellschaftliche Herausforderung. Dabei hat die Landesregierung einen besonderen Blick auf die Quartiersentwicklung immer mit dem Ziel die Selbstbestimmung und Teilhabe bis zuletzt zu ermöglichen und die Vernetzung und lebensnahe Angebote im Wohnquartier zu entwickeln und damit auch die Pflege in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren.
Dazu hat die Landesregierung mit dem Sofortprogramm Pflege 2022 ein umfangreiches Maßnahmenpaket geschnürt.
Zum Schluss möchte ich nochmal die für mich drei zentrale Säulen guter Pflege nennen:
I. Pflege muss in der Mitte der Gesellschaft verankert sein
II. Ein Selbstbestimmtes Leben für Pflegebedürftige muss gewährleistet sein
III. Faire und attraktive Arbeitsbedingungen und gute Löhne
Ich bin heute gerne hier hierhergekommen, um Ihnen meinen Respekt für Ihre Arbeit zu zollen und Ihnen meine absolute Unterstützung zu versichern.
Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und bleiben sie weiterhin in ihren Forderungen – laut - und bleiben Sie gesund!